ASTORIA
Zum bevorstehenden 70. Todestag von JURA SOYFER Der österreichische Dramatiker und Kabarettist JURA SOYFER wurde 1912 in Charkow geboren. Er gehört zu den wichtigsten politischen österreichischen Autoren des 20. Jhdts. Seine Theaterstücke vereinen die Tradition des Wiener Volksstücks (Raimund, Nestroy, Horvath) mit politischen Lehrstücken im Sinne Brechts. Die Aktualität seiner Themen ist unumstritten: Massenarbeitslosigkeit, soziale Kälte, Gefährdung der Demokratie, zunehmende Gewaltbereitschaft.
In ASTORIA erzählt er von einem fiktiven Staat, in dem das Leid abgeschafft ist. Erfunden hat dieses Land der Landstreicher Hupka, dessen Börsen-spekulationen plötzlich reales Geld bringen. Leichte und doch tiefsinnige, fast kabarettistische Dialoge, köstliche Bühnentypen und - darunter verborgen - ätzende Kritik an einer dem Schein verfallenen Gesellschaft, die ihre Mitglieder der Arbeitslosigkeit und Armut ausliefert, machen den Reiz und die Aktualität dieses Stücks aus. Es demonstriert die virtuelle Macht des Geldes, erfasst die Illusionen unserer von der Globalisierung geprägten Gegenwart und veranschaulicht uns die Gefahr, die von Virtualität ausgeht, wenn sie „real" und geschichtsbestimmend wird. JURA SOYFER starb am 16. Februar 1939 mit 26 Jahren im KZ Buchenwald an Typhus, wenige Tage nachdem er seine Einreisepapiere in die USA erhalten hatte.
Zum Autor Jura Soyfer wird am 8. Dezember 1912 als Sohn eines jüdischen Industriellen in Charkow in der Ukraine geboren. Sein Leben war überschattet von der Wirtschaftskrise, von Massenarbeitslosigkeit, vom aufkommenden Nationalsozialismus und vom drohenden Weltkrieg. 1920 flieht seine Familie vor der Bolschewistischen Revolution nach Wien, wo Inflation und Nachkriegselend herrschen. Er wird überzeugter Marxist und tritt 1927 dem Verband Sozialistischer Mittelschüler bei. Bald wird er eines der aktivsten Mitglieder der Gruppe der „Achtzehner". Er schreibt ab 1929 gemeinsam mit Viktor Grünbaum und Robert Ehrenzweig Programme fürs Politische Kabarett der Sozialdemokratischen Partei und veröffentlicht Glossen, Rezensionen und Gedichte in der Arbeiter-Zeitung. Nach der Matura 1931 inskribiert Soyfer an der Universität Wien Deutsch und Geschichte und veröffentlicht regelmäßig Gedichte in der Arbeiter-Zeitung. Die Gedichte und Theaterstücke der Jahre 1932-34 sind von der Tagespolitik geprägt. Sie gelten dem Kampf gegen den Nationalsozialismus in Deutschland, gegen den Austrofaschismus, gegen die Unentschlossenheit der Linken, gegen das Chaos des Kapitalismus in der Wirtschaftskrise und rufen zur Solidarität der Arbeiterklasse auf. 1932 publiziert er Reportagen über seine Tippeltour durch Deutschland. Nach der Niederlage der Sozialdemokraten im Februar 1934 (er versucht sich vergeblich zum Karl Marx Hof durchzuschlagen, nachdem es bei seiner Sammelstelle weder Waffen noch Instruktionen gibt) verlässt er - enttäuscht von der Parteiführung - die Partei, und arbeitet für die verbotene KP. 1935 machte ihn Hans Weigel mit Leo Askenasy (Leon Askin) bekannt. Soyfer wurde „Hausdichter" im ABC, einer der engagiertesten Kleinkunstbühnen der Dreißigerjahre. Die Wiener Kleinkunst der Dreißigerjahre war eine Mischform aus Theater (Wiener Volkskomödie/Raimund, Nestroy) und politischem Kabarett, sogenannte Mittelstücke. 1936 werden DER WELTUNTERGANG und DER LECHNER EDI SCHAUT INS PARADIES aufgeführt. 1937 kommen ASTORIA, VINETA und BROADWAY-MELODIE 1492 zur Uraufführung. Vor der Premiere von BROADWAY-MELODIE 1492 wird Jura Soyfer durch eine Verwechslung (mit Franz Marek, Propaganda-Leiter der KP) verhaftet. Dabei findet man ausreichend belastendes Material. Erst im Zuge einer Amnestie für „Politische" wird er am 17.2.1938 aus der Untersuchungshaft entlassen. Nur 25 Tage später, am 13. März wird er beim Versuch auf Schiern über die Schweizer Grenze zu flüchten, neuerlich verhaftet. Am 23. Juni wird er mit seinem Freund Hugo Ebner nach Dachau eingeliefert und im September nach Buchenwald überstellt. Dort stirbt Jura Soyfer am 16. 2. 1939 als rassisch und politisch Verfemter an Typhus. Theaterstücke: Der Weltuntergang - 1936 Der Lechner Edi schaut ins Paradies - 1936 Astoria - 1936/37 Vineta - 1937 Broadway- Melodie 1492 - 1937 Zum Stück ASTORIA ist eine politische Satire auf die nationalsozialistischen Strömungen im Deutschland der 30er Jahre, vor allem aber auf den Ständestaat Schuschniggs, den die wenigsten wirklich wollten, mit dem niemand etwas anfangen konnte. Das „Vaterland" war zwar in aller Munde, aber man konnte sich nichts genaues darunter vorstellen. Die Österreicher schauten wehmütig zurück ins Reich der Habsburger, oder neidisch und entzückt ins Deutsche Reich. Ein Selbstverständnis der Österreicher gab es kaum. Der Ständestaat entstand durch Verfassungsbruch, führte das alte Staatswappen mit dem Doppeladler wieder ein und anerkannte als neues Symbol das Kruckenkreuz. Eine Zeitungsmeldung, nach der eine englische Gaunerbande für einen fiktiven Staat Astoria Subventionsgelder erschwindelten, inspiriert Soyfer zu einer Satire über einen Staat der Besitzlosen und Armen ohne Land, über einen Staat der Bürokratie und Ämter, einen Staat der Ausbeutung und der unerfüllten Hoffnungen. Aber nicht nur die Herrschenden, auch die Armen müssen - obwohl er für sie Verständnis aufbringt - sich ob ihrer Verführbarkeit und Untätigkeit Soyfers Kritik gefallen lassen. Das Stück wurde wegen seiner Kampfansage an die Hitler-Diktatur und an den Austrofaschismus verboten. Zum Inhalt Es wird Winter. Zwei Landstreicher sind auf der Suche nach einem Winterquartier. Während Pistoletti in einem Krankenhaus Unterschlupf sucht, will Hupka als Doppelgänger eines gesuchten Raubmörders in einem Gefängnis überwintern. Der Versuch, sich verhaften zu lassen, scheitert an einem freundlichen und hilfsbereiten Polizisten, der vor Glück, Vater von Drillingen geworden zu sein, sich beharrlich weigert, den Landstreicher wegen Fehlens von Ausweisdokumenten ins Gefängnis zu stecken. Hupka sinniert nach, wie sein Leben wohl verlaufen würde, wenn er auf der anderen Seite einer imaginären Trennlinie weiterginge. Sein Tagtraum von einer schönen, reichen Amerikanerin, scheint plötzlich Realität zu werden. Seine Hollywood-Idee nimmt Gestalt an. Gwendolyn, auf der Suche nach einem Staat als Geburtstagsgeschenk für ihren senilen Ehemann, der früher Staatssekretär im Außenministerium war, macht Hupka zum ersten Staatsbürger eines noch zu findenden Landes namens ASTORIA. Durch den Schwarzen Freitag vollkommen „verarmt", ist an den Kauf eines Staates nicht mehr zu denken. Dennoch eröffnen die Buckelburg-Marasquinos eine astorische Botschaft, geben Empfänge, verteilen Orden, ernennen Ehrenbürger und überzeugen so die letzten Zweifler von der Existenz des erfundenen Staates. Bald geht das Gerücht um, Astoria wäre das Paradies auf Erden. Es gäbe dort keine Armut, keine Krankheiten, keinen Hunger, keine Säuglingssterblichkeit und jeder hätte Arbeit. Der Andrang vor der astorischen Botschaft nimmt zu. Hupka ist als Legationsrat damit beschäftigt, Einreisewillige mit allen Mitteln abzuwimmeln. Den Protest des jungen, arbeitslosen Paul nimmt er mit schlechtem Gewissen zur Kenntnis und fühlt sich bemüßigt, ihm den Posten eines Dieners in der Botschaft anzubieten. Paul nimmt an und vergisst seine Ausreisepläne. ASTORIA, der Staat ohne Ländereien und Einwohner kassiert von Auslandsastorianern Steuern, baut bürokratische Strukturen auf und handelt mit Erdöl-Aktien an der Börse. ASTORIA besitzt mittlerweile Reichtum. Von Pistoletti gestellt, besinnt sich Hupka endlich seiner Herkunft und schlägt Gwendolyn vor, Land zu kaufen, Fabriken zu bauen und den Armen Arbeit zu geben. Gwendolyn lehnt ab und befiehlt dem Butler James, die beiden Landstreicher festzunehmen. Der verlangt als Gegenleistung die ganze Macht. Hupka und Pistoletti gelingt noch einmal die Flucht. Hupka geht zur Presse und möchte die Lüge um ASTORIA aufdecken. Die fühlt sich aber nicht mehr zuständig, nachdem ASTORIA mittlerweile eine eigene Amtliche Korrespondenz eingerichtet hat. Der Staat per se, der weder Volk noch Land braucht ist perfekt. Der Mythos nicht mehr aus der Welt zu schaffen. Beinahe gibt Hupka seinen Kampf gegen die Lüge ASTORIA auf. Er überlegt, sich mit der ehemaligen Spionin Anastasia ins kleine private Glück zurückzuziehen. Da muntert ihn Paul, der sich vorwirft Mitläufer geworden zu sein, auf, bei der geplanten Denkmalenthüllung im astorische Garten aufs Rednerpodest zu stürmen und der Welt die Wahrheit über ASTORIA zu sagen. Bei der Denkmalenthüllung sieht sich Hupka allerdings dem uneingeschränkten Jubel der Massen gegenüberstehen. Alle scheinen gleichgeschaltet. James, der ehemalige Butler, hat die absolute Macht übernommen. ASTORIA ist gerüstet. Hupka wird von den Massen nur ausgelacht, als er die Wahrheit über die Nichtexistenz von ASTORIA verkündet. Mit Hupka, Pistoletti und Paul wandern letzten Endes drei Vagabunden - diesmal unfreiwillig - ins Gefängnis. Zum Konzept ASTORIA ist ein ergreifendes Zeitdokument über Soyfers verlorenen Kampf gegen den Faschismus und ein Stück Theatergeschichte. Damit allein würde man Soyfers Schaffen aber keineswegs gerecht werden. Soyfer hat in seinem Schreiben fürs Theater auf tagespolitische Ereignisse reagiert und der damit bewusst auf überzeitlichen Kunstanspruch verzichtet. Dennoch ist es gelungen, zeitlos Gültiges, weil Ewig-Menschliches auf die Bühne zu bringen. Soyfer wendet sich gegen jede Form von Gewalt, Unterdrückung und Ausbeutung von Menschen. Er verurteilt die Verklärung und den Missbrauch des Begriffes „Vaterland". Er lehnt den entmenschlichten Bürokraten- und Beamtenstaat ab. Er ruft zu Menschlichkeit und Solidarität auf. Der Mensch, als soziales Wesen, sucht seinen Platz in der Gesellschaft. Und er hat ein Recht auf „seinen" Platz. Der Mensch braucht ein Zuhause, eine „Heimat", in der er sich wohlfühlt, weil er gebraucht wird. Einen Ort, wo er nicht hungern, frieren, leiden und kämpfen muss. Wo er sich entfalten und verwirklichen kann. Doch in Wirklichkeit stehen die gesellschaftlichen Möglichkeiten und Zwänge den individuellen Vorstellungen und Bedürfnissen oft im Wege. Vor allem den Mittel- und Besitzlosen, den Unterdrückten bleibt in ihrer Ohnmacht meist nur die Hoffnung, die Flucht in den Traum vom besseren Leben, die Utopie vom plötzlichen Erwachen im Schlaraffenland. Je mehr sich das Individuum einsam und ausgeschlossen fühlt, umso größer wird - so scheint es - seine Sehnsucht nach der Heimkehr ins „verlorene Paradies", aus dem der Mensch - wie man so sagt - vertrieben wurde. Gleichzeitig beschreibt Soyfer auch die Gefahr der Verführbarkeit und Unberechenbarkeit des Menschen, wenn er Macht, Geld und Einfluss wittert. Er verliert sehr leicht die Übersicht, wird überheblich, unersättlich und bestechlich. Wie schnell sind dann Solidarität und Menschlichkeit vergessen. Zwischen ungestillter Sehnsucht nach Solidarität und der Verführbarkeit nach Einfluss wird der Mensch zumeist zum Opfer und zum Spielball von Illusionen, ausgelöst durch die virtuelle Macht des Geldes und derer, die es besitzen. Am Ende des Stückes bleibt zwar eine Resignation und eine innere Leere, weil sich wieder nichts geändert hat in der Welt - aber auch die leise Hoffnung auf eine neuerliche Solidarität und das Bewusstsein, dass es auf jeden von uns selbst ankommt, ob sich die Welt zu einer menschlicheren entwickelt. Bühne Peter W. Hochegger Kostüme Gabriele Weninger Musik Helmut Strobl Regieassistenz Michaela Mahrhauser Regie Peter W. Hochegger Termine Premiere: Donnerstag, 24. Juli 2008 Weitere Vorstellungen: 25.Juli bis 17. August 08 Donnerstag bis Sonntag Beginnzeit: 20.00 Uhr |